Erstellt von Professor Dr. med. Thomas Platz
Ärztlicher Direktor Forschung und Leiter Institut für Neurorehabilitation und Evidenzbasierung,
An-Institut der Universität Greifswald

Symptomcluster

Kognitive Beeinträchtigungen

Beschwerden und Symptome

Betroffene von Long und Post COVID beklagen regelmäßig, dass sie sich nicht mehr so gut und lange konzentrieren können und dabei weniger belastbar sind. Auch Wörter fallen Ihnen nicht mehr so gut ein und das Planen und Organisieren fällt schwerer.

Bei einer weltweiten Analyse von 54 Studien und zwei medizinischen Datenbanken wurden Daten von 1,2 Millionen Personen mit COVID-19 aus 22 Ländern ausgewertet. Die Frage war, ob drei Monate nach der Infektion immer noch Symptome bestanden (GBD, 2022). Dabei wurden drei Symptomgruppierungen bei Long und Post COVID festgestellt: fortdauernde Erschöpfung (Fatigue) mit Schmerzen oder Stimmungsschwankungen, Probleme mit der Atmung sowie kognitive Probleme. Kognitive Probleme treten der Analyse zufolge bei Long und Post COVID im Vergleich häufiger auf, und stehen bei einem Teil der Betroffenen im Vordergrund.

In einer anderen systematischen Analyse von Ergebnissen aus 57 Studien mit 250.351 COVID-19-Genesenen, die COVID-19-Krankheitsfolgen kurzfristig (1 Monat), mittelfristig (2 – 5 Monate) und langfristig (≥ 6 Monate) untersuchten, wurden folgende kognitive Funktionseinschränkungen am häufigsten berichtet: Konzentrationsschwierigkeiten bei durchschnittlich (Median) 23,8% und Gedächtnisstörungen bei 18,6% der Betroffenen (Groff et al., 2021).

Darüber hinaus ist die Beachtung kognitiver Leistungsminderungen bei Long und Post COVID auch deshalb relevant, da nicht selten die berufliche Leistungsfähigkeit einschränkt ist (Perlis et al., 2023).

Ursache und Diagnostik

Eine Verlaufsuntersuchung bei einer Gruppe Gesunder, die an COVID-19 erkrankten, ergab einerseits eine Verschlechterung kognitiver Leistungen und andererseits eine reduzierte Dicke der grauen Substanz im Bereich des Stirnhirns und Schläfenhirns, sowie auch insgesamt eine leichte Minderung der Hirnsubstanz (Douaud et al., 2022). COVID-19 scheint also – wie auch in anderen Organen (z.B. Lunge, Leber, Herz, Niere) – zumindest mit leichten Organveränderungen im Gehirn einhergehen zu können. Auch ist es so, dass Hirnfunktionsstörungen – vergleichbar wie kognitive Störungen – als “Netzwerk”-Störungen des Gehirns zu betrachten sind; entsprechend kann bei Long und Post COVID auch ein geminderter Hirnstoffwechsel in manchen Hirnregionen beobachtet werden.

Davon besonders betroffen sind beim Long und Post COVID-Syndrom Regionen im Stirnhirn, Hirnstamm und Kleinhirn (Verger et al., 2022). Ursächlich sind wahrscheinlich entzündliche und immunologische Vorgänge, bei initial schwer Betroffenen (z.B. mit notwendiger Intensivstation-Behandlung) teilweise auch eine zeitweise Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Diese Ergebnisse helfen zu verstehen, was den kognitiven Leistungsminderungen bei Long und Post COVID zugrunde liegen kann. Sie sind aber nicht für eine individuelle Diagnostik geeignet.

Da kognitive Störungen eine Vielzahl von Ursachen haben können, ist eine individuelle diagnostische Abklärung zunächst durch eine/n Hausärzt*in, gegebenenfalls ergänzend durch einen/n Neurolog*in erforderlich. Die Abklärung umfasst primär die individuelle Krankengeschichte und eine klinische Untersuchung. Darüber hinaus erfolgt eine Basisdiagnostik (Screening) kognitiver Leistungen sowie die Berücksichtigung psychischer Symptome. Bei Auffälligkeiten, die auf kognitive Leistungsminderungen hinweisen, können diese mit weiteren psychologischen Tests (Neuropsychologie) genauer untersucht und diagnostiziert werden. Zur Abklärung von Ursachen können, je nach individueller Befundkonstellation, Blutuntersuchungen sowie auch Funktionsuntersuchungen mittels Elektroenzephalographie (EEG) und Bildgebung des Gehirns durch Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) erforderlich sein.

Behandlungsansätze

Die Behandlungsansätze bei kognitiver Leistungsminderungen richten sich nach der jeweiligen spezifischen Ursache. Daher ist zunächst eine individuelle Dokumentation von Art und Ausmaß der kognitiven Leistungsminderungen sowie die individuelle Abklärung möglicher Ursachen erforderlich. Teilweise werden so Ursachen festgestellt, die einer spezifischen ärztlichen Behandlung bedürfen.

Wie bereits erwähnt, stellen kognitive Störungen bei COVID-19 eine „Funktionsstörung“ im Sinne einer Leistungsminderung des Gehirns dar. Wenn das Gehirn durch COVID-19 in Mitleidenschaft gezogen ist, kann es sich über Wochen und Monate wieder funktionell erholen. Die kognitiven Leistungsminderungen können sich also durch Selbstheilungskräfte des Gehirns verbessern.

Dies ist jedoch nicht bei allen Betroffenen der Fall. In diesen Fällen kann eine Therapie durch Neuropsycholog*innen und Ergotherapeut*innen den Heilungsprozess unterstützen. In der Therapie ist es sinnvoll, dass die Betroffenen ein gutes Verständnis für ihre Stärken und Schwächen (im Bereich der Kognition) vermittelt bekommen. Gleichzeitig lernen sie, die Auswirkungen auf Alltag und Beruf einzuordnen und durch ihr Verhalten zu berücksichtigen. So kann es gelingen, trotz bestehender Leistungsminderungen, besser zurecht zu kommen, ohne sich zu sehr einzuschränken oder zu überfordern. Individuell kann es auch nützlich sein, ein therapeutisch geleitetes Hirnleistungstraining durchzuführen, etwa für Aufmerksamkeitsleistungen.

Bei initial schwerem COVID-19-Verlauf mit verbleibenden alltags- oder berufsrelevanten kognitiven Leistungsminderungen ist eine neurologische Anschlussrehabilitation angezeigt. Diese sollte direkt im Anschluss an die Krankenhausbehandlung durchgeführt werden.

Bei initial leichtem COVID-19-Verlauf sind die Maßnahmen der Diagnostik und Therapie zunächst ambulant umsetzbar. Wenn es sich jedoch zeigt, dass unter ambulanten Maßnahmen keine ausreichende Besserung erreicht wird und alltags- oder berufsrelevante kognitiven Leistungsminderungen fortbestehen, ist auch für diese Personen die Frage der stationären neurologischen Rehabilitation zu stellen. Denn die Neuropsychologie stellt in der stationären neurologischen Rehabilitation einen Schwerpunkt dar. Entsprechend können Betroffenen mit kognitiven Leistungsminderungen hier professionell gut betreut werden.

Begleitende fördernde Maßnahmen

Da kognitive Leistungsminderungen bei Post-COVID nicht selten auch die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken (Perlis et al., 2023), sollte mit der/dem behandelnden Hausärzt*in beziehungsweise der/dem Neurolog*in die berufliche Situation thematisiert werden. Neben der sonstigen Therapie sollten gegebenenfalls auch spezifische Maßnahmen der beruflichen Förderung im Verlauf vorgesehen und eingeleitet werden.

Referenzen

Aus der Leitlinie „S2k-LL SARS-CoV-2, COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation“ (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/080-008);

Ergänzend neuere Literaturangaben:
Perlis RH, Lunz Trujillo K, Safarpour A, Santillana M, Ognyanova K, Druckman J, Lazer D. Association of Post-COVID-19 Condition Symptoms and Employment Status. JAMA Netw Open. 2023 Feb 1;6(2):e2256152. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.56152.

zuletzt geändert: 23. Juni 2023